Die Idee
des Rings wurde auf den Barrikaden geboren. Als 1849 der preußische
Kartätschenprinz, vom königlichen Sachsen zu Hilfe gerufen wurde, um den
Aufstand in Dresden niederschlagen zu lassen, fügte sich in dem bald darauf
steckbrieflich verfolgten R. Wagner das Bild der Welt, in der er lebte,
zur Vision eines ungeheuerlichen Mythos zusammen: die Götter dieser Welt
mußten untergehen! Mit der Götterdämmerung sollte die dramatische
Vision enden, die den Menschen zeigte, daß ihnen eine neue Welt nur geschenkt
werden würde, wenn sie die alte, die ihrige, die bestehende vernichteten.
Aber auch mythische und dichterische Vorstellungen der Antike (die für
Wagner mindestens gleich viel bedeuteten) flossen mit hinein: so die Idee
einer Geschichte der Götter, die Anfang und Ende hatte, wie sie im Prometheus
dargestellt war; zwei Titanen, Kraft und Gewalt, schmieden dort den Feind
des jungen Gottes Zeus, den Freund der Menschen, an einen Felsen (so wie
in der Walküre Brünnhilde an einen Felsen geschmiedet wird). So
wenig gesagt werden kann, daß Wagner einen neuen Prometheus hat schreiben
wollen, so falsch wäre die Annahme, er habe den Mythos der Germanen auf
die Bühne gebracht. Nur Bilder, Vorstellungen, Ideen rief er herbei, um
seine Vision der Welt darzustellen. Diese Götter sind alles andere als
anbetungswürdig. Der Ring ist, wie Thomas Mann sagte, "im Grunde
gegen die ganze bürgerliche Kultur und Bildung gerichtet und gedichtet".
Dabei blieb es, auch als - in der Pause, die die Komposition des Ring
mitten im Siegfried auf zwölf Jahre unterbrach - der Appell zur
Welterneuerung (Sieg der Liebe über das Gold) von der Resignation verdrängt
wurde und durch Schopenhauer die indischen Vorstellungen von der Erlösung
im "Nichtmehrsein", im Nirwana, in Tristans Reich der Nacht,
eindrangen.
Wagner: "Nur der Völkerfrühling (gemeint ist das Aufblühen der freiheitlichen
Bestrebungen ab dem März 1848, H.H.) brachte ununterbrochen schönes Wetter
vom März an, und trotz allen
Unsinns ist doch der Grund zu Deutschlands Einheit damals gelegt worden.
"Ich selbst hätte, glaube ich, den Ring nicht konzipiert, ohne diese
Bewegung." Cosima Wagner, Tagebuch, Mai 1874.
Tagebucheintragung Eduard Devrients vom 21.Oktober 1848: (Bd.1, S.451)
"Kapellmeister Wagner brachte mir einen Opernentwurf, hatte wieder
große sozialistische Rosinen im Kopf. Jetzt ist ihm ein einiges Deutschland
nicht mehr genug, jetzt geht´s aufs einige Europa, auf die einheitliche
Menschheit los."
R. Wagner an F. Liszt, Zürich 20. (?) Juli 1850:
"...- ich fordere Darsteller für Heroen, wie sie unsere Szene noch
nicht gesehen hat; wo sollen die herkommen? Nun, aus der Luft nicht, sondern
aus der Erde: ich glaube, Du bist im besten Zuge, sie mir aus der Erde
wachsen zu lassen, wenigstens durch begeisternde Pflege."
Die erste "Festspielhaus"-Idee:
Brief Richard Wagners an Ernst Benedikt Kietz, Zürich, 14. September
1850:
Ich denke daran, den Siegfried wirklich noch in Musik zu setzen, nur bin
ich nicht gesonnen, ihn aufs Geratewohl vom ersten besten Theater aufführen
zu lassen: im Gegenteil trage ich mich mit den allerkühnsten Plänen, zu
deren Verwirklichung jedoch nichts Geringeres als mindestens die Summe
von 10,000 Taler gehört. Dann würde ich nämlich hier, wo ich gerade bin,
nach meinem Plane aus Brettern ein Theater errichten lassen, die geeignetsten
Sänger dazu mir kommen und alles Nötige für diesen einen besonderen Fall
mir so herstellen lassen, daß ich einer vortrefflichen Aufführung der
Oper gewiß sein könnte. Dann würde ich überall hin an diejenigen, die
für meine Werke sich interessieren, Einladungen ausschreiben, für eine
tüchtige Besetzung der Zuschauerräume sorgen und - natürlich gratis -
drei Vorstellungen in einer Woche hintereinander geben, worauf dann das
Theater abgebrochen wird und die Sache ihr Ende hat. Nur so etwas kann
mich noch reizen. Wenn Karl Ritters Onkel stirbt, bekomme ich die Summe!
(Sämtliche Briefe Bd. 3, S. 404)
Erstmalig über die Gesamtaufführung an vier Abenden:
Brief an Theodor Uhlig, Albisbrunn, 12.10.1851:
"... - Wenn alle deutschen Theater zusammenbrechen, schlage ich
ein neues am Rheine auf, rufe alle zusammen und führe das Ganze im Laufe
einer Woche auf."
Ursprüngliche Idee:
Brief Wagners an Theodor Uhlig, Albisbrunn, 11.11.1851:
Vorspiel: Der Raub des Rheingoldes
1.) Siegmund und Sieglinde: der Walküre Bestrafung
2.) Der junge Siegfried
3.) Siegfrieds Tod
Brief Richard Wagners an Theodor Uhlig, Albisbrunn, 12.11.1851:
"Als ich an die volle musikalische Ausführung (von Siegfried
H.H.) ging, und ich dabei endlich fest unser Theater ins Auge fassen mußte,
fühlte ich das Unvollständige der beabsichtigten Erscheinung: es blieben
eben der große Zusammenhang, der den Gestalten erst ihre ungeheure, schlagende
Bedeutung gibt, nur durch epische Erzählung, durch Mitteilung an den Gedanken
übrig. Um daher Siegfrieds Tod zu ermöglichen, verfaßte ich den
jungen Siegfried: je bedeutender aber dadurch das Ganze sich schon
gestaltete, desto mehr mußte mir jetzt, als ich an die szenisch-musikalische
Ausführung des jungen Siegfried ging, einleuchten, daß ich das
Bedürfnis nach deutlicher Darstellung des ganzen Zusammenhanges an die
Sinne, nur noch gesteigert hatte. Jetzt sehe ich, ich muß, um vollkommen
von der Bühne herab verstanden zu werden, den ganzen Mythos plastisch
ausführen. Nicht diese Rücksicht allein bewog mich aber zu meinem neuen
Plane, sondern namentlich auch das hinreißend Ergreifende des Stoffes,
den ich somit für die Darstellung gewinne, und der mir einen Reichtum
für künstlerische Bildung zuführt, den es Sünde wäre, ungenützt zu lassen.
Denke Dir den Inhalt der Erzählung der Brünnhilde - in der letzten Szene
des jungen Siegfried - (das Schicksal Siegmunds und Siegelinds,
der Kampf Wotans mit seiner Neigung und der Sitte (Fricka); der herrliche
Trotz der Walküre, der tragische Zorn Wotans mit dem er diesen Trotz straft:
denke Dir dies in meinem Sinne, mit dem ungeheuren Reichtum von Momenten,
in ein bündiges Drama zusammengefaßt, so ist eine Tragödie von der erschütterndsten
Wirkung geschaffen, die zugleich alles das zu einem bestimmten sinnlichen
Eindrucke vorführt, was mein Publikum in sich aufgenommen haben muß, um
den jungen Siegfr[ied] und den Tod - nach ihrer weitesten
Bedeutung - leicht zu verstehen. Diesen drei Dramen sende ich nun ein
größeres Vorspiel voran, welches für sich an einem besonderen einleitenden
Festtage aufgeführt werden muß: es beginnt mit Alberich, der die drei
Wasserfrauen des Rheines mit Liebesgelüste verfolgt, von einer nach der
anderen (scherzend heiter) abgewiesen wird und aus Wut ihnen endlich das
Rheingold stiehlt: - dies Gold ist an sich nur ein glänzender Schmuck
der Wassertiefe (Siegfrieds Tod, Akt III. Sz. 1), eine andere Macht wohnt
ihm aber bei, die jedoch nur der ihm zu entlocken vermag, der der Liebe
entsagt. (Hier hast Du das gestaltende Motiv bis zu Siegfr[ied]s Tod:
denke Dir die ganze Fülle von Folgen!) Der Fang Alberichs, die Zuteilung des Goldes an die zwei Riesenbrüder,
die schnelle Erfüllung von Alberichs Fluch an diesen beiden, von denen
der eine sogleich den anderen erschlägt, bilden den Gegenstand dieses
Vorspiels. -
" - An eine Aufführung kann ich erst nach der Revolution denken:
erst die Revolution kann mir die Künstler und die Zuhörer zuführen. Die
nächste Revolution muß notwendig unsrer ganzen Theaterwirtschaft das Ende
bringen: sie müssen und werden alle zusammenbrechen, dies ist unausbleiblich.
Aus den Trümmern rufe ich mir dann zusammen, was ich brauche: ich werde,
was ich bedarf, dann finden. Am Rheine schlage ich dann ein Theater auf
und lade zu einem großen dramatischen Feste ein: nach einem Jahr Vorbereitung
führe ich dann im Laufe von vier Tagen mein ganzes Werk auf: mit ihm gebe
ich den Menschen der Revolution dann die Bedeutung dieser Revolution,
nach ihrem edelsten Sinne, zu erkennen. Dieses Publikum wird mich verstehen:
das jetzige kann es nicht. -
Wagner in einem Brief an Theodor Uhlig, Zürich, 20.11. 1852 über seine
Nibelungen-Dichtung:
"Das Größte, was je gedichtet."
Wagner zu Cosima über Wotan: (Eintragung von Cosima Wagner vom 29.3.1878):
"Es ist doch kein gutes Zeichen für Schopenhauer, daß er meinen Ring
nicht mehr beachtet. Ich wüßte keine Dichtung, in welcher die Brechung
des Willens (und welcher Wille, der sich die Welt zur Lust erschafft),
ohne Einwirkung der Gnade, durch die eigene Kraft einer stolzen Natur,
wie im Wotan dargestellt ist. Durch die Trennung von Brünnhilde schon
wie erloschen, bäumt sich dieser Wille noch einmal, lodert in der Begegnung
mit Siegfried, flackert in der Sendung der Waltraute, bis wir ihn ganz
erloschen sehen in Walhall am Schluß." " Ich bin überzeugt,
Schopenhauer würde sich geärgert haben, daß ich dies erfunden, bevor ich
seine Philosophie gekannt."
Brief an Liszt Zürich, 11.2.1853:
"Beachte wohl meine neue Dichtung - sie enthält der Welt Anfang und
Untergang!"
Brief an August Röckel, Zürich, 25. Januar 1854:
"... Darstellung der oben von mir bezeichneten Wirklichkeit. - Statt
der Worte: "ein düstrer Tag dämmert den Göttern: in Schmach doch
endet Dein edles Geschlecht, läßt Du den Reif nicht los!" lasse ich
jetzt Erda nur sagen: "Alles was ist - endet: ein düstrer
Tag dämmert den Göttern: Dir rat' ich, meide den Ring!" - Wir müssen
sterben lernen, und zwar sterben, im vollständigsten Sinne des Wortes;
die Furcht vor dem Ende ist der Quell aller Lieblosigkeit, und sie erzeugt
sich nur da, wo selbst bereits die Liebe erbleicht. Wie ging es zu, daß diese höchste alles Lebenden dem menschlichen
Geschlechte so weit entschwand, daß dieses endlich alles was es tat, einrichtete
und gründete nur noch aus Furcht vor dem Ende erfand? Mein Gedicht zeigt
es. Es zeigt die Natur in ihrer unentstellten Wahrheit mit all ihren vorhandenen
Gegensätzen, die in ihren unendlich mannigfachen Begegnungen auch das
gegenseitig sich Abstoßende enthalten. Nicht aber daß Alberich von den
Rheintöchtern abgestoßen wurde - was diesen ganz natürlich war - ist der
entscheidende Quell des Unheils; Alberich und sein Ring konnten den Göttern
nichts schaden, wenn diese nicht bereits für das Unheil empfänglich waren.
Wo liegt nun der Keim dieses Unheils? Siehe die erste Szene zwischen Wotan
und Fricka - die endlich bis zu der Szene im 2. Akte der Walküre führt.
Das feste Band, das beide bindet, entsprungen dem unwillkürlichen Irrtume
der Liebe, über den notwendigen Wechsel hinaus sich zu verlängern, sich
gegenseitig zu gewährleisten, dieses Entgegentreten dem ewig Neuen und
Wechselvollen der Erscheinungswelt - bringt beide Verbundene bis zur gegenseitigen
Qual der Lieblosigkeit. Der Fortgang des ganzen Gedichtes zeigt demnach
die Notwendigkeit, den Wechsel, die Mannigfaltigkeit, die Vielheit, die
ewige Neuheit der Wirklichkeit und des Lebens anzuerkennen und ihr zu
weichen. Wotan schwingt sich bis zu der tragischen Höhe, seinen Untergang
- zu wollen. Dies ist Alles, was wir aus der Geschichte der Menschheit
zu lernen haben: das Notwendige zu wollen und selbst zu vollbringen.
Das Schöpfungswerk dieses höchsten, selbstvernichtenden Willens ist der
endlich gewonnene furchtlose, stets liebende Mensch: Siegfried. Das ist
Alles. - Des Näheren verdichtet sich die unheilstiftende Macht, das eigentliche
Gift der Liebe, in dem, der Natur entwendeten und gemißbrauchten Golde,
dem Nibelungen-Ringe: nicht eher ist der auf ihm haftende Fluch gelöst,
als bis es der Natur wiedergegeben, das Gold in den Rhein zurückversenkt
ist. Auch dies lernt Wotan erst ganz am Schlusse, am letzten Ziele seiner
tragischen Laufbahn erkennen: das, was Loge ihm im Anfang wiederholt und
rührend vorhielt, übersah der Machtgierige am meisten; zunächst lernte
er - an Fafner's Tat - nur die Macht des Fluches erkennen; erst als der
Ring auch Siegfried verderben muß, begreift er, daß einzig diese Wiedererstattung
des Geraubten das Unheil tilgt, und knüpft daher die Bedingung seines
gewünschten eignen Unterganges an diese Tilgung eines ältesten Unrechtes.
Erfahrung ist Alles. Auch Siegfried allein (der Mann allein) ist nicht
der vollkommene "Mensch": er ist nur die Hälfte, erst mit Brünnhilde
wird er zum Erlöser; nicht Einer kann Alles; es bedarf Vieler, und das
leidende, sich opfernde Weib wird endlich die wahre wissende Erlöserin:
denn die Liebe ist eigentlich "das ewig Weibliche" selbst. -
"Wotan ist nach dem Abschied von Brünnhilde in Wahrheit nur noch
ein abgeschiedener Geist: seiner höchsten Absicht nach kann er nur noch
gewähren lassen, es gehen lassen wie es geht, nirgends aber mehr bestimmt
eingreifen; deswegen ist er nun auch "Wanderer" geworden: sieh
Dir ihn recht an! er gleicht uns auf's Haar; er ist die Summe der Intelligenz
der Gegenwart, wogegen Siegfried der von uns gewünschte, gewollte Mensch
der Zukunft ist, der aber nicht durch uns gemacht werden kann, und der
sich selbst schaffen muß durch unsre Vernichtung. In solcher Gestalt -
mußt Du zugestehen - ist uns Wotan höchst interessant, wogegen er uns
unwürdig erscheinen müßte als subtiler Intrigant, denn das wäre er, wenn
er Ratschläge gäbe, die scheinbar gegen Siegfried, in Wahrheit aber für
ihn, und namentlich für sich gelten: das wäre ein Betrug, würdig unsrer
politischen Helden, nicht aber meines untergangsbedürftigen jovialen Gottes.
Sieh, wie er dem Siegfried im dritten Akte gegenüber steht! Er ist hier
vor seinem Untergange so unwillkürlicher Mensch endlich, daß sich - gegen
seine höchste Absicht - noch einmal der alte Stolz rührt, und zwar (wohlgemerkt!)
aufgereizt durch - Eifersucht um Brünnhilde; denn diese ist sein empfindlichster
Fleck geworden. Er will sich gleichsam nicht nur so bei Seite schieben
lassen, sondern fallen - besiegt werden: aber auch dies ist ihm so wenig
absichtliches Spiel, daß er in schnell entflammter Leidenschaft sogar
auf Sieg ausgeht, auf einen Sieg, der - wie er sagt - ihn nur noch elender
machen müßte. - Für die Kundgebung der Absichten mußte ich meinem Gefühle
nach ein unendlich feines Maß einhalten: allerdings soll mein Held nicht
den Eindruck eines gänzlich Bewußtlosen machen: im Siegfried habe ich
vielmehr den mir begreiflichen vollkommensten Menschen darzustellen gesucht,
dessen höchstes Bewußtsein darin sich äußert, daß alles Bewußtsein immer
nur in gegenwärtigstem Leben und Handeln sich kundgibt: wie ungeheuer
ich dieses Bewußtsein, das fast nie ausgesprochen werden darf, erhebe,
wird Dir aus der Szene Siegfrieds mit den Rheintöchtern klar werden; hier
erfahren wir, daß Siegfried unendlich wissend ist, denn er weiß das Höchste,
daß Tod besser ist als Leben in Furcht: er kennt auch den Ring, aber er
achtet seine Macht nicht, weil er was Besseres zu tun hat; er wahrt ihn
nur als Zeugnis dessen, daß er - das Fürchten nicht gelernt hat. Gestehe,
vor diesem Menschen muß alle Götterpracht erbleichen! Am meisten fällt
mir von Dir die Frage auf: warum nun, da das Rheingold dem Rhein zurückgegeben
ist, die Götter doch noch untergehen? - Ich glaube, bei einer guten Aufführung
wird der naivste Mensch hierüber ganz einig mit sich werden. Allerdings
geht der Untergang nicht aus Kontrapunkten hervor: diese ließen sich überhaupt
ja deuten, drehen und wenden - man brauchte nur einen juristischen Politiker
als Advokat dazu zu nehmen; sondern aus unserm innersten Gefühle erwächst
uns - wie Wotan aus seinem Gefühle - die Notwendigkeit dieses Unterganges.
Hierauf kam es an, aus dem Gefühle diese Notwendigkeit zu rechtfertigen,
und ihm geschieht dies ganz von selbst, wenn es vollkommen teilnehmend
von Anfang an den Gang der ganzen Handlung mit all ihren einfachen, natürlichen
Motiven verfolgt: wenn schließlich Wotan diese Notwendigkeit ausspricht,
so sagt er nur das, was wir selbst bereits für notwendig halten. Wenn
Loge am Schlusse des Rheingoldes den nach Walhall ziehenden Göttern
nachredet: "Ihrem Ende eilen sie zu, die so stark im Bestehen sich
wähnen", so bringt er in diesem Augenblicke unsre eigne Empfindung
gewiß nur zum Ausdruck, denn wer dieses Vorspiel teilnehmend verfolgt,
nicht grübelnd und abwägend, sondern die Vorfälle auf sein Gefühl wirken
lassend, der muß Loge vollkommen beistimmen. -
Laß mich Dir noch etwas von Brünnhilde sagen. Auch sie verkennst Du doch,
wenn Du ihre Weigerung, den Ring Wotan zu überlassen, hart und eigensinnig
findest. Erlebtest Du nicht, daß Brünnhilde sich von Wotan und allen Göttern
geschieden um - der Liebe willen, weil sie - wo Wotan Plänen nachhing
- nur - liebte? Seit vollends Siegfried sie erweckt, hat sie kein andres
Wissen mehr als das Wissen der Liebe. Nun - das Symbol dieser Liebe ist
- da Siegfried von ihr zog - dieser Ring: da ihn Wotan von ihr fordert,
tritt ihr nur noch der Grund ihrer Trennung von Wotan entgegen (weil sie
aus Liebe handelte), und nur eines weiß sie jetzt noch, daß sie allem
Göttertume entsagt hat um der Liebe willen. Sie weiß aber, daß die Liebe
das einzig Göttliche ist: so möge denn Walhall's Pracht zu Grunde gehen,
aber den Ring - (die Liebe -) opfert sie nicht. Ich bitte Dich, wie erbärmlich,
geizig und gemein stünde sie nun da, wenn sie den Ring deshalb verweigerte,
weil sie (etwa durch Siegfried) um seinen Zauber, um seine Goldmacht wüßte?
Das wirst Du doch diesem herrlichen Weibe nicht im Ernste zumuten? Schauert
es Dich aber, daß dieses Weib gerade in diesem verfluchten Ringe das Symbol
der Liebe bewahrt, so wirst Du ganz nach meiner Absicht empfinden, und
hierin die Macht des Nibelungen-Fluches auf seiner furchtbarsten, tragischsten
Höhe erkennen: dann wirst Du überhaupt die Notwendigkeit des ganzen letzten
Dramas Siegfrieds Tod erkennen. Das mußten wir noch erleben, um
vollkommen das Unheil des Goldes inne zu werden. Warum Brünnhilde so schnell
dem verstellten Siegfried sich fügt? Eben weil dieser ihr den Ring entrissen,
in welchem sie einzig auch noch ihre Kraft bewahrte. Das Furchtbare, Dämonische
des ganzen Auftrittes ist Dir überhaupt entgangen: durch das Feuer, das
seiner Bestimmung, wie der Erfahrung nach - einzig Siegfried durchschreiten
sollte und konnte, dringt - leichter Mühe - ein "andrer" zu
ihr: Alles schwankt zu Br.'s Füßen, Alles ist aus den Fugen; in einem
furchtbaren Kampfe wird sie überwältigt, sie ist "von Gott verlassen".
Und außerdem ist es - Siegfried in Wirklichkeit, der ihr gebietet das
Lager mit ihm zu teilen - Siegfried, den sie (unbewußt - aber desto verwirrender)
trotz seiner Verhüllung an dem leuchtenden Auge - fast - erkennt. (Du
fühlst, hier geht etwas eben "Unaussprechliches" vor, und hast
daher sehr Unrecht, mich darüber zum Sprechen zu interpellieren!) Aber
- meine Darsteller? Da falle ich in ein gewaltiges Seufzen. Natürlich
muß ich auf junge Leute halten, die durch unsre Opernbühne nicht schon
ganz ruiniert sind: an sogenannte "Berühmtheiten" denke ich
gar nicht. Wie ich mir meine junge Welt nun ziehe, das muß ich auch erst
sehen; am liebsten hätte ich meine Truppe ein Jahr lang zusammen, ohne
sie öffentlich auftreten zu lassen; ich muß täglich mit ihnen umgehen,
sie menschlich und künstlerisch üben, und für ihre Aufgabe allmählich
reifen lassen. Unter den glücklichsten Umständen dürfte ich daher vor
dem Sommer 1858 auf keine erste Aufführung rechnen. Möge es nun aber dauern,
wie lange es wolle, immer reizt es mich, in einer so konzentrierten Tätigkeit
für einen mir ganz eigenen Zweck mir noch eine Nötigung zum Leben zu setzen.
Brief an seine Nichte Clara Brockhaus, Zürich 12. März 1854:
"Mit den Nibelungen wird's anders: die schreibe ich nicht für die
Theater, sondern - für uns! Aber aufführen werde ich sie doch: ich habe
mir dies als einzige und letzte Lebensaufgabe gestellt. Meine Bühne werde
ich mir selbst dazu bauen, und meine Darsteller mir selbst erziehen: wie
viel Jahre es mich kostet, ist mir gleichgültig; wenn ich's nur einmal
erreiche. Nach der Aufführung werfe ich mich mit der Partitur auf Brünnhilde's
Scheiterhaufen, so das Alles verbrennt. - "
Brief an August Röckel, Zürich, 23.8.1856, Dokumente S. 118:
"... ich gestaltete sie (die Nibelungen-Dichtung, HH) zu einer Zeit,
wo ich mit meinen Begriffen nur eine hellenistisch-optimistische Welt
aufgebaut hatte, deren Realisierung ich durchaus für möglich hielt, sobald
die Menschen nur wollten, wobei ich mir selbst über das Problem, warum
sie denn eigentlich doch nicht wollten, ziemlich kunstreich hinweg zu
helfen suchte. Ich entsinne mich nun, in diesem absichtlich gestaltenden
Sinne die Individualität meines Siegfried herausgegriffen zu haben, mit
dem Willen ein schmerzloses Dasein hinzustellen; mehr aber noch glaubte
ich mich deutlich auszudrücken in der Darstellung des ganzen Nibelungen-Mythos,
mit der Aufdeckung des ersten Unrechtes, aus dem eine ganze Welt des Unrechtes
entsteht, die deshalb zu Grunde geht um uns eine Lehre zu geben, wie wir
das Unrecht erkennen, seine Wurzel ausrotten und eine rechtliche Welt
an ihrer Stelle gründen sollen. Kaum bemerkte ich nun aber, wie ich mit
der Ausführung, ja im Grunde schon mit der Anlegung des Planes, unbewußt
einer ganz anderen, viel tieferen Anschauung folgte, und, anstatt einer
Phase der Weltentwicklung, das Wesen der Welt selbst, in allen seinen
nur erdenklichen Phasen, erschaut und in seiner Nichtigkeit erkannt hatte,
woraus natürlich, da ich meiner Anschauung, nicht aber meinen Begriffen
treu blieb, etwas ganz andres zu Tage kam, als ich mir eigentlich - gedacht
hatte. Doch entsinne ich mich, schließlich meine Absicht gewaltsam einmal
zur Geltung gebracht zu haben, und zwar - zum einzigsten Male - in der
tendenziösen Schlußphrase, welche Brünnhilde an die Umstehenden richtet,
und, vor der Verwerflichkeit des Besitzes ab, auf die einzig beseligende
Liebe verweist, ohne (leider!) eigentlich mit dieser "Liebe"
selbst recht ins Reine zu kommen, die wir, im Verlaufe des Mythos, eigentlich
doch als recht gründlich verheerend auftreten sahen. So blind machte mich
aber an dieser einzigen Stelle die Dazwischenkunft meiner begrifflichen
Absicht. Sonderbarer Weise marterte mich diese stelle nun fortwährend,
und es bedurfte wahrlich einer großen Umwälzung meiner Vernunftvorstellung,
wie sie schließlich durch Sch[openhauer] bewirkt wurde, um mir den Grund
meiner Pein aufzudecken, und mir zu meinem Gedichte den wirklich entsprechenden
Schlußstein zu liefern, der in einer aufrichtigen Anerkennung des wahren
tiefen Verhaltes der Dinge besteht, ohne im mindesten dabei tendenziös
zu sein."
Brief an Franz Liszt, Zürich, 6.12.1856:
"Sonderbar! erst beim Komponieren geht mir das eigentliche Wesen
meiner Dichtung auf: überall entdecken sich mir Geheimnisse, die mir selbst
bis dahin noch verborgen blieben. So wird auch Alles viel heftiger und
drängender.
|