![]() Opera & Operette Wagner: Parsifal © 2004 Hartmut Haenchen
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Gedanken zu Parsifal Zu jeder Zeit bedienen sich die Künste der Symbole um Allgemeinmenschliches und Überzeitliches auszusagen, ohne sich damit etwa der gesellschaftlichen Bezüge und der gesellschaftlichen Wirksamkeit entziehen zu wollen. Durch die Bayreuther Schutzfrist von dreißig Jahren für den "Parsifal", durch die Dimension des Stückes, durch die praktischen Aufführungsschwierigkeiten und durch ein unüberschaubares Gewirr von Mythen um das Werk, die besonders seit der Zeit Cosima Wagners Verwirrung gestiftet haben, gilt das Werk als unerreichbar, unaufführbar, Theatergottesdienst, bei dem nur nach dem 2. Akt Beifall gezollt werden darf, usw. Der tiefe humanistische Gehalt, die Frage der Verbindung von Geist und Tat, von Anerkennung der Frau, von Mitleid (im aktiven Sinn) als Teilvoraussetzung von Solidarität, blieb unberücksichtigt. Ein Übriges tat der Begriff Bühnenweihfestspiel. Wagner hat mit Recht und Bedacht nicht den Begriff Oper wählen können, weil es tatsächlich keine ist, denn Handlung und Reflexion stehen ebenbürtig nebeneinander, und so wäre es nur zu umschreiben als Verquickung von Oper und Oratorium. Wagner wollte hier keine Zeremonie begründen, sondern eine Form benennen, die als Endpunkt und als Zusammenführung einer musikgeschichtlichen Entwicklung von Monteverdi und Schütz über Bach und Mozart zu verstehen ist. In der "Zauberflöte" geht es um Machtmißbrauch und den richtigen Gebrauch von Macht zum Zweck der Humanisierung. Im "Parsifal" geht es um den Mißbrauch von Ideologie. Man muss sich davon trennen, zu meinen, dass das Stück sich nur mit christlicher Ethik oder mit christlicher Ideologie auseinandersetzt, sondern die steht ja für etwas, sie steht für Ideologie schlechthin. " (H. Kupfer) Die Missverständnisse um "Parsifal" konnten letztlich auch entstehen, weil Wagner in seinem Leben und seinem Verständnis der gesellschaftlichen Entwicklungen viele Schwächen hatte und seine schriftlichen Äußerungen z. T. weder von festem Charakter noch von wirklichen, tiefen Einsichten in politische und gesellschaftliche Probleme zeugen. Als genialer Künstler, dessen eigenes Menschsein nicht auf adäquater Höhe stand, war er aber besonders in der Lage, menschliche Ideale künstlerisch zu postulieren. So wie man das am Schärfsten erkennt, was man nicht besitzt. Sicher blieb letztlich auch deshalb die dramatische Idee wertvoller als die literarische Qualität seines Textbuches. Die Partitur des Werkes ist mit Sicherheit aber eine der Wesentlichsten der Musikliteratur. In "Parsifal" begegnet uns Wagners sparsamste, wenn auch längste Partitur. Sein Verzicht auf den übergroßen Aufwand, sein Verzicht auf eine wenig konkrete Ornamentik und Umspielung zeigt den Höhepunkt seiner musikalischen Entwicklung, die Nebensächliches aussparen kann. Gerade im Vorspiel zeigt sich das auch in einer ausgesparten Harmonik, die dadurch - im Gegensatz zu früheren Werken - einen Schwebezustand erreicht und erst durch die Handlung konkret wird. Auch die Funktion des Leitmotivs, das in früheren Werken immer etwas die Gefahr in sich birgt, einfach ein Etikett zu sein, erhält eine neue Bedeutung: Am Anfang stehen sich die Leitmotive fremd gegenüber, sind klar voneinander getrennt. Im ganzen Werk gibt es keine einzige absolut notengetreue Wiederholung. Das Leitmotiv verändert sich mit den Figuren und den Situationen in einer psychologisch unglaublich feinfühligen Weise. Das geht bis zum Wechsel der Identität. Besonders im "Parsifal" hat Wagner die Kunst der Zergliederung seiner anfangs so statischen Motive zur formbildenden Kraft entwickelt. Er benutzt seine Grundmateriale zur eigentlichen Erzählung über die handelnden Menschen und so müssen sie logischerweise stellenweise auch so verschmelzen, wie das Gedankengut von einem auf den anderen übergeht, oder zwei die gleiche Empfindung haben. So gibt es Stellen bei denen er z. B. die Intervalle des einen Motivs mit der Harmonik des anderen Motivs verquickt. Ebenso verfährt er mit typischen rhythmischen Strukturen, die nun wieder im Verhältnis zum Tempo stehen, das überhaupt eine der Grundfragen des Werkes ist. Hier scheint die Tradition durch den Einfluss von Cosima Wagner eine Abschwächung der musikalischen Gegensätze herbeigeführt zu haben, die auf Zeremonie zielen. Die überlieferten
Aufführungszeiten der ersten Aufführungen unter Levi zeigen, dass die
Tendenzen zum Zelebrieren dieses Werkes erst später eingesetzt haben und
somit sicher dem Werk einen falschen Aspekt geben. Jede Aufführung heute
muss über die Entzifferung der Zeichen die die Partitur bietet das Potential
an Neuheit erschließen, das sich nur dem erschließen kann, der immer auf
der Suche nach Neuem und Unerkanntem ist. Kundry ist mit Sicherheit die
Kernfigur des Stückes, deren Kuss nicht nur musikalisch-architektonisch
als zentraler Punkt des Werkes betrachtet werden muss. Wagner geht bei
dieser Gestalt zunächst von W. v. Eschenbach's Verführerin Orgeluse, jenem
teuflisch schönen Weib, aus und verquickt es in Anlehnung an die buddhistische
Lehre von Wiederverkörperung in einer Doppel- Existenz mit der Gralsbotin
Kundry. Ihr "Haar war schwarz und hart wie Schweineborsten. Ihre
Nase war die eines Hundes, aus ihrem Mund ragten zwei Eberzähne, und ihre
Ohren glichen denen eines Bären" (Heiduczek). In dieser Existenz bewirkt
sie Gutes. Bei Klingsor steht sie als schöne Frau machtlos im Dienst des
Lasters. Aber auch hier bleibt Wagner vielschichtig und so schwankt sie
im 2. Akt zwischen eigenem Bewußtsein mit echter Liebe (dafür schuf Wagner
ein eigenes Motiv) und der Willenlosigkeit, die durch den Fluch hervorgerufen
wurde. Die Legende der Herodias stand hier sicher Pate, in der erzählt
wird, sie habe beim Anblick des abgeschlagenen Johannes-Kopfes gelacht
und sei dafür zu einem ewigen Irren verflucht. Genau diesen Fluch muß
sie unter der Macht Klingsors an Parsifal weitergeben. Bei Klingsor ist
sie die Verführerin wider Willen und im Dienste Titurels ist sie die Gralsbotin
wider Willen ("Nie tu ich Gutes"). In einer Existenz hofft sie
auf Erlösung durch Dienen am Gral als Buße und Sühne. Beides führt nun
Wagner zur Erlösung durch Weinen im Anblick der "lachenden Aue"
und dadurch auch zur Zusammenführung der positiven Aspekte beider Seiten.
Das als Symbol der menschlichen Selbsterkenntnis zu verstehen liegt nahe
und gibt Kundry die Perspektive am Ende des Stückes. Daß Wagner den Schluß
im musikalischen Sinne offenhält, bestätigt nur diese Sicht. Wagner stellt
uns keinen idealen Helden vor. Daß er fehlerhaft ist, es erkennt und nach
persönlicher Vervollkommnung strebt und Taten statt Worte will, ist das
Heldenhafte. So muß als logische Konsequenz ein großer Zeitraum zwischen
2. und 3. Akt liegen, muß er noch viele Erfahrungen sammeln, bevor er
in der Lage sein wird, seine Erkenntnisse umzusetzen. Wagner läßt den
Erfolg Parsifals am Schluß szenisch wie musikalisch offen. Zwar übernimmt
er das Amt Amfortas', doch wird nichts mehr musikalisch über Parsifal
ausgesagt oder gar über seine sieghafte Zukunft da er allein steht. Wagner
spart das kämpferische Parsifal-Motiv aus, weil Parsifal die Veränderung
nicht allein bewältigen wird. Wagner schließt aber mit der Hoffnung auf
die Veränderung, indem in Umkehrung zum Vorspiel des 1. Aktes das Motiv
der Taube, die als Symbol der Vereinigung von Speer (Tat) und Gral (Geist)
steht, in mehreren musikalischen Varianten dominiert. Wagner ordnet Klingsor zunächst das Symbol der "Tat" zu und Titurel das des "Geistes". Damit zeigend, daß Geist auf der einen Seite zu falscher Ideologie und Tat der anderen Seite zu Machtgier werden können. Beide sind in dem Moment dann auch nicht mehr lebensfähig, wenn ihnen die falsch gebrauchten Symbole fehlen. Die Gralsbrüder
wurden als Gegenpol zu einer nicht intakten Welt gegründet, sind aber
im Zeitausschnitt des Werkes vollständig unfähig geworden, ihre Funktion
der Humanisierung der Welt zu erfüllen, weil sie selbst inhuman geworden
sind. Obwohl Wagner sie durch seinen Text eindeutig negativ charakterisiert
(die Reaktion der Knappen Kundry gegenüber, die aufbegehrenden und fast
unverschämten Fragen der Knappen und Ritter gegenüber Gurnemanz und Amfortas,
der Ungehorsam Gawans bis zur egoistischen Forderung zu Leben, ohne dafür
etwas zu tun, im 3. Akt), bleibt die Gefahr des Mißverständnisses, da
die musikalische Charakterisierung bei oberflächlichem Betrachten sehr
seriös und feierlich ist. Zu erkennen, daß Wagner hier aber sofort in
seiner Musik statisch wird und somit eine "Nichtentwicklung" aufzeigt,
kann eigentlich nicht schwer sein. Harmonisch und melodisch wird bewußt
so wiederholt, daß man wohl den Ritus erkennt, dem aber Geist und Tat
fehlen. Die Kontraste in den Gralsritter-Szenen, wenn die handelnden Personen
sprechen, machen dies besonders deutlich. Die unerbittliche Stelle der
Forderung nach der Gralsenthüllung beweist diese Feststellung am deutlichsten.
Hier ist der einzige Ansatz zur Tat der Gralsritter und die einzige Stelle,
wo große harmonische Bewegung in das musikalische Material der Gralsritter
kommt. Damit stellt Wagner ihn bewußt mehr als Erzähler außerhalb der Handlung dar. In seiner positiven Haltung, in der Ehrfurcht vor dem Leben, drängt sich der Vergleich zu Albert Schweitzer auf. Um die Figur aber dramaturgisch einzuordnen, muß man Gurnemanz' umfangreiche Erzählungen als Schmerz übe die verlorene Macht begreifen. Dabei ist er wohl der Einzige, der Macht als Mittel zur Humanisierung der Welt sieht, sich damit aber die volle Einsicht über die Gründe des Zerfalls der Gralsritterschaft verbaut. Er versucht im 3. Akt - losgelöst von der Ritterschaft - seine Ideale zu leben und muß erkennen, daß er ohne Gemeinschaft erfolglos bleiben wird, und so ist er es, der die Zukunftsmöglichkeit durch Parsifal erkennt. index |